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Alles kann, nichts muss! Leben nach dem eigenen Willen

Detlev Sassmann über die Arbeit auf einer Palliativstation des Klinikums Fulda

Herr Sassmann, Sie waren viele Jahre stellvertretende Leitung der Palliativstation des Universitätsklinikums Würzburg und haben diese Position nun im Zentrum für Palliativmedizin am Klinikum Fulda inne. Ist die Krankenpflege schon immer Ihr Berufsfeld?

Ich habe nach meiner Schulausbildung, Anfang der 1990er Jahre, erst den Beruf des Zerspannungsmechanikers mit Fachrichtung Schleiftechnik gelernt, in dem ich aber danach nur ein halbes Jahr arbeiten konnte. Die Arbeitsmarktsituation war damals auch im Metallbereich sehr angespannt. Im Nachhinein war das eher gut für mich.

Warum war das gut für Sie? Was hat Sie veranlasst, noch einmal einen neuen und vor allem einen ganz anderen sozialen Beruf zu erlernen?

Mein Glück war tatsächlich der Zivildienst. Im Anschluss an meinen kurzen Arbeitseinsatz in einer bekannten Kugellagerfabrik in Schweinfurt, durfte ich den Zivildienst in einem kleineren Krankenhaus in Oberfranken ableisten. Ich habe sehr schnell gemerkt, dass mir der Pflegeberuf und der Umgang mit Menschen deutlich mehr liegen als das Bedienen von Maschinen. Es ist die Dankbarkeit der Menschen, die man zu spüren bekommt. Man kriegt etwas zurück. Und man hat in diesem Beruf die Möglichkeit, in vielen verschiedenen Bereichen zu arbeiten, vom Bedienen komplexer Apparate bis hin zum direkten Kontakt mit Menschen. Die Entscheidung, Krankenpfleger zu werden, fiel nicht schwer!

Warum haben Sie sich für die Arbeit in der Palliativpflege entschieden? Hatten Sie ein Schlüsselerlebnis?

Bevor 2009 die Palliativstation der Uniklinik Würzburg eröffnet wurde, hatte ich, direkt nach meiner Ausbildung, in der urologischen Abteilung des Klinikums gearbeitet und von 2006 bis 2009 auf der dazugehörigen IMC-Station, der Intermediate Care, einer Zwischenstufe zwischen Intensiv- und Normalstation. Ich habe mir in dieser Zeit oft die Frage gestellt: „Warum wird immer versucht, alles medizinisch Mögliche zu tun, unabhängig von Alter, Vorerkrankungen und Willen der betroffenen Person?“ Dabei hat mich oft gestört, dass die Vertreter jeder Disziplin hauptsächlich auf ihr Fachgebiet schauen, ohne den ganzen Patienten und dessen Lebenssituation in den Blick zu nehmen. In dem Zusammenhang gab es tatsächlich ein Schlüsselerlebnis: Ich musste einen 84-jährigen, schwerstkranken Patienten wiederbeleben, wobei die Erfolgsaussichten für eine erfolgreiche Reanimation eindeutig sehr gering waren. Dabei ist dieser Patient eigentlich schnell und schmerzlos – unspektakulär – gestorben. Beim Frühstück hatte er einfach einen Herzstillstand erlitten, – im Alter so sterben, das könnte ich mir auch für mich gut vorstellen. So etwas wie die Reanimation in einem diesem Fall, wollte ich nicht mehr machen müssen. Ich weiß, dass viele andere Kollegen das anders sehen, aber mich persönlich hat dieses Erlebnis in die Palliativpflege/-medizin gebracht.

Ist die Palliativstation die „Endstation“?

Endstation würde bedeuten, es geht nicht weiter. Natürlich sterben viele unserer Patienten. Es kommt immer wieder darauf an, in welchem Stadium der Erkrankung sie zu uns kommen. Aber genauso viele gehen auch wieder nach Hause oder können noch einige Zeit in einem Hospiz oder Pflegeheim weiterleben. Im Laufe meiner zehn Jahre in Würzburg gab es auch einige Patienten, die mehrmals bei uns auf Station waren. Einen Herrn haben wir über zwei Jahre betreut, ich bin mir nicht mehr ganz sicher, aber mit insgesamt fünf oder sechs Aufenthalten bei uns auf der Station. Immer für knapp eine Woche. „Meine Frau braucht etwas Erholung“, war „seine“ Einweisungsdiagnose.

Was ist auf einer Palliativstation anders oder besser als auf anderen Stationen?

Besser sind eigentlich nur die baulichen Gegebenheiten im Vergleich zu anderen Stationen. Der Versuch, eine wohnliche Atmosphäre zu schaffen, in der sich der Patient und seine Angehörigen – soweit es möglich ist – wohl fühlen können. Das Wohlfühlen bezieht sich im Übrigen auch auf die Mitarbeiter. Vieles ist aber tatsächlich anders, oder besser gesagt: Wir haben viele Möglichkeiten, unsere Arbeit individuell an den Patienten anzupassen und es immer wieder anders zu machen. Denn das Ziel ist nicht mehr die Heilung nach einem festen Therapieplan, dem sich der Patient unterordnen muss, sondern die Linderung der Symptome steht im Vordergrund. Wir wollen alles ermöglichen, was unsere Patienten entlastet.
Aber, was dem einen Patienten sehr guttut, ist vielleicht für den anderen nicht auszuhalten, auch wenn ein ähnliches Krankheitsbild vorliegt. Es ist an uns, das herauszufinden. Das braucht Zeit. Und weil alles gefühlt auf einer Palliativstation etwas langsamer geht, dürfen wir uns dazu auch Zeit nehmen. Was nicht heißt, dass die Mitarbeiter mehr Zeit haben. Unser Tag hat auch nur 24 Stunden, nicht mehr.

Wie gehen die Patienten und ihre Angehörigen damit um, wenn die Therapie auf die Palliativbehandlung umgestellt wird?

Das ist eigentlich immer ganz unterschiedlich. Die einen haben sich mit ihrer eigenen Endlichkeit befasst, die anderen stehen erst am Anfang des Prozesses, wenn sie ihn denn überhaupt zulassen. In jedem Fall gibt es großen Gesprächsbedarf, was neben der Symptomlinderung von Übelkeit oder Schmerzen, um nur zwei zu nennen, eine unserer wichtigsten Aufgaben ist: die psychologische Betreuung und Begleitung. Einen großen Teil unserer Zeit verbringen wir tatsächlich mit Gesprächen. Es gibt Patienten für die völlige Klarheit ob der eigenen Lage herrscht, deren Angehörige die Wahrheit jedoch nicht ertragen. Andersherum gibt es Patienten, die ihre Krankheit bis zum Schluss leugnen, was sie auch dürfen, aber deren Angehörige ihren Zustand und dessen Verschlechterung deutlich wahrnehmen und akzeptieren. In beiden Fällen können wir – die Pflegenden, Ärzte und Therapeuten – zum Sprachrohr für unsere Patienten werden.

Was ändert sich für den Patienten im Krankenhausalltag, wenn er auf die Palliativstation
kommt?

Die Geschwindigkeit! Wenn Patienten zu uns auf Station kommen, sind sie sehr oft völlig erschöpft und müde. Das hat sicherlich mehrere Gründe, aber einige davon hängen auch mit dem Stress durch den straffen Therapieplan, die häufigen Untersuchungen und allem, was sonst noch zum Krankenhausalltag gehört, zusammen. Wir können und dürfen den Patienten erlauben, nichts tun zu müssen. Mein Motto: Alles kann, nichts muss! Sehr oft schlafen sich unsere Patienten kurz nach ihrer Aufnahme erst einmal aus. Das Tolerieren wir natürlich, sie haben ja erst mal kein Programm.

Obwohl die Therapie dann nicht mehr auf die Heilung des ursprünglichen Leidens zielt: Gibt es so etwas wie Genesung oder Erholung?

Genesung beinhaltet neben der Heilung ja auch die Begriffe der Besserung, Kräftigung und Erholung. Also ja, ich empfinde es als Genesung, wenn ein Patient durch unsere Therapien und Anwendungen zum Beispiel wieder Luft bekommt und seit langem mal wieder „durchatmen“ kann. Oder wenn durch eine gelungene Schmerzeinstellung wieder ein Lachen möglich ist. Für eine gute Symptomlinderung benötigt man natürlich auch wieder Zeit, um die richtigen Medikamente und Anwendungen zu finden, aber wenn die Linderung funktioniert ist das für mich Genesung!

Sie sprachen eben vom Lachen. Lachen Sie auch mit Ihren Patienten auf der Palliativstation?
Lachen und Humor ist für mich persönlich essenziell. Und ja, wir lachen viel mit unseren Patienten und deren Angehörigen. Vor allem, wenn uns eine gute Symptomlinderung gelingt, ist lachen auch wieder möglich. In Fulda wird das auch so sein, da bin ich mir sehr sicher.

Was ist das Reizvolle an Ihrer neuen Aufgabe in Fulda?

Eine neue Disziplin in die bestehende Struktur des Klinikums zu integrieren, ein neues Pflegeteam aufbauen zu dürfen und vor allen Dingen anderes, neues Gedankengut an Kollegen weitergeben zu können. Weil Palliativmedizin/-pflege für alles offen ist, kommt auch immer wieder Neues dazu.

Was bedeutet das neue Palliativzentrum für das Klinikum und die Patienten in Fulda?

Das ist eine schwer zu beantwortende Frage. Ich hoffe, dass wir mit dem Palliativdienst und der Palliativstation einen weiteren Beitrag zu noch besserer Patientenversorgung leisten können. Außerdem hoffe ich, dass wir es schaffen, nicht nur als letzte Möglichkeit gesehen zu werden, sondern als eine begleitende und unterstützende Disziplin, die jederzeit in allen Bereichen im Klinikum ihre Hilfe anbietet. Auch für Patienten, die sich noch in einem stabilen Stadium ihrer Erkrankung befinden.

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